ANNEMARIE LEIPPERT

Als Kind war ich fasziniert von der Serie Kung Fu mit David Carradine, weniger wegen der Kampfszenen, als vielmehr wegen der Gespräche zwischen Meister und Schüler und der damit zugrunde liegenden Philosophie.

In der kleinen Stadt Meersburg in der ich lebe, gab es keine Möglichkeit eine Kampfkunst zu erlernen, und als ich älter wurde hatte ich den Gedanken daran längst beiseitegeschoben, ich spielte Volleyball in der Bezirksliga, aber mein Trainingseifer und mein Talent hielten sich in Grenzen.

Das Thema Kampfkunst schlummerte wohl noch immer in meinem Unterbewusstsein, und so ergriff ich mit Anfang Zwanzig die Gelegenheit Karate in einem Verein zu lernen. Nach anfänglichem Enthusiasmus, ließ auch hier mein Trainingseifer irgendwann nach, irgendwie war das nicht das nicht das Richtige für mich. Ich hörte mit dem grünen Gurt auf zu trainieren. Zwei Jahre machte ich dann überhaupt keinen Sport, und das wirkte sich negativ aus, ich merkte, dass mein Körper anfing einzurosten.

Ein Freund von mir hatte in diesen zwei Jahren unaufhörlich mit großer Begeisterung auf mich eingeredet, doch einmal mit zu seinem Kampfkunstlehrer Dietmar Stubenbaum in Friedrichshafen mitzukommen, und eine Probestunde mitzumachen. Dies hatte ich zwei Jahre lang ignoriert, heute bereue ich diese zwei verschwendeten Jahre, in denen ich hätte lernen können statt nichts zu tun.

Ich ging also schließlich mit. Die Schule war in einem verstaubten Raum unter dem Dach in der alten Franzosenkaserne in Fallenbrunnen untergebracht.

Die Stahltüre in den Raum hatte eine kleine Delle, die wohl von einem Schuss verursacht worden war. Auf der gegenüberliegenden Seite war eine Art kleiner Tempel/Altar aufgebaut. Links davon ein alter Schreibtisch, an den Wänden verschieden Trainingswaffen und Bilder von Meistern, Akkupunkturtafeln, Sitzbänke, ein Regal mit Kampfkunstbüchern, ein alter Schrank, Schutzmasken und eine Samurai-Rüstung. Der Boden bestand aus Steinplatten, auf denen in der Mitte das Yin und Yang Zeichen aufgemalt war. Alles in allem machte der Raum einen verwegenen Eindruck, alt, verstaubt, mit einer faszinierenden Einrichtung, einfach cool.

Es gab nur 4 kleine Heizkörper in dem großen Raum, im Winter war es kalt, im Sommer sengend heiß.

In der Umkleide stand ein Bartresen, und ein alter Schrank, niedrige Tische mit Sitzbänken, und die beiden mit Vorhängen und Paravents getrennten Umkleiden. Dieser Raum besaß keine Heizung, im Winter war das Umziehen somit eine recht kalte Angelegenheit.

Hier verbrachten wir viele glückliche Stunden beim Umtrunk nach dem Training, und feiert so manches Fest.

Ich ging also eines Tages mit meinem Kumpel zusammen zu einem Probetraining, das war im April 1998. Da an diesem Tag erst eine Trainingsstunde Xingyiquan stattfand und danach der Unterricht im Taijiquan, nahm ich an beidem teil. Beides kannte ich nicht, ich hatte keine Ahnung davon was ich da trainierte. Ewig in Erinnerung werden mir die brennenden Oberschenkel bleiben, die ich nach kurzer Zeit des Trainings der Grundübungen bekam, und mit denen ich später noch viele Monate bei jedem Training zu kämpfen hatte. 


Was soll ich sagen, nach diesem ersten Training sagte mein Bauchgefühl, das ich das machen sollte, und zwar beide Kampfkünste. Obwohl die Schulgebühr für beide Disziplinen im Vergleich zum Karateverein um ein Vielfaches teurer war, fackelte ich nicht lange, und meldete mich am selben Abend an. Ich sagte mir > das machst du jetzt mal für dich <, und heute muss ich sagen das war die beste Entscheidung meines Lebens.

Seither lerne ich diese faszinierenden Kampf- und Bewegungskünste mit ungebrochener Faszination, und arbeite daran sie immer tiefgründiger zu verstehen und umzusetzen, es ist zu meinem Lebensweg geworden, der auch einen Anker darstellt, an den man sich immer festhalten kann, wenn die Krisen des Lebens einen durchschütteln.

2010 wurde meinem Lehrer der Mietvertrag für die Räume in Fallenbrunnen gekündigt, heute befindet sich dort die Zeppelin Universität. Wir wurden heimatlos, trainierten einige Jahre in einem stundenweise angemieteten Raum in einem Fitnessstudio, bis schließlich mein Mitschüler Ralf Merk für seinen Handwerksbetrieb ein Gebäude baute, und darin auch einen Trainingsraum für uns mit einplante. Und so befindet sich Die Pagode, die Schule meines Lehrers Dietmar Stubenbaum jetzt in der Albert-Maier-Str. 12 in Friedrichshafen.

CHRONOLOGISCHER WERDEGANG

1998 Beginn der Ausbildung im Chen Taijiquan und Xingyiquan bei Meister Dietmar Stubenbaum und bis zum heutigen Tage seine Schülerin. 

2001 Gründungsmitglied der "International Society of Chen Taijiquan (ISCT)", dem Weltverband der Meister im Chen Taijiquan Chen Xiaojia: Chen Peishan und Chen Peiju (20. Generation der Chen Familie).
www.chen-taijiquan.org.

2005 Start der Lehrtätigkeit im Sinne der Tradition, heute Lehrerin in der Tradition von Meister Dietmar Stubenbaum, und lizenziert als Lehrerin in der "Gesellschaft zur Erforschung und Praxis des Kleinen Rahmen Chen Clan Taijiquan e. V."

2006-2018 Director, Secretary General und Mitglied des Trainings Councils der "International Society of Chen Taijiquan (ISCT)". 

2009 Teilnahme an der Europa Tai Chi in Paris/Frankreich. Gewinn einer Goldmedaille in der Kategorie "Tuishou Fixed Step", sowie einer Silber- und einer Bronzemedaille in der Kategorie "Tuishou Mobile Step". Erste und bisher einzige Teilnahme an einem Wettbewerb, da Wettbewerbe nicht zu meinen Interessen bezüglich des Taijiquan gehören.

2014/2015 Mitglied des Organisationskomitees für das "Festivals der International Society of Chen Taijiquan (ISCT) 2015" in Saarbrücken.

2015-2019 Zweiten Vorstand der "Gesellschaft zur Erforschung und Praxis des Kleinen Rahmen Chen Clan Taijiquan e. V."

2019-2024 Director Germany and Spain der International Society of Chen Taijiquan (ISCT)