
Hong Yixiang (Hung I-Hsiang) 洪懿祥 (1925-1993)
Mit spürbarer Freude berichtete mir mein Lehrer Dietmar Stubenbaum vor wenigen Tagen, er habe zwei kurze, bislang kaum bekannte Videosequenzen des bedeutenden taiwanesischen Kampfkünstlers Hong Yixiang (Hung I-Hsiang) 洪懿祥 (1925–1993) entdeckt. In den Aufnahmen erscheint neben Hong auch sein damaliger Schüler Marcus Brinkman, einer der frühen westlichen Praktizierenden, die in Taiwan über Jahre hinweg ernsthaft die inneren Kampfkünste studierten. Der Fund ließ Dietmar augenblicklich in jene prägende Epoche seiner Taiwan-Zeit zurückkehren – eine Phase, in der die Insel noch ein Schmelztiegel alter chinesischer Kampfkünste war, bewahrt von Meistern, die selbst Zeugen der Umbrüche des 20. Jahrhunderts gewesen waren.
Hong Yixiang, ein herausragender Vertreter des Xingyiquan, Baguazhang und Taijiquan, zählt zu den markantesten Persönlichkeiten der Kampfkunstgeschichte Taiwans. Über viele Jahre hinweg galt er als einer der gefürchtetsten Vollkontaktkämpfer des Landes – ein Mann, dessen praktisches Können die damalige Szene nachhaltig prägte.
Der Weg des Kriegers
In ihrem 1983 erschienenen Bestseller Der Weg des Kriegers, basierend auf der BBC-Dokumentation The Way of the Warrior, beschreiben Howard Reid und Michael Croucher ihren Eindruck von Hong:
"Manchmal holt er mit einer Geschwindigkeit, die für einen Mann seiner Leibesfülle unglaublich erscheint, einen Schüler heraus, drückt einen Nervenpunkt, setzt einen Hebel an oder verriegelt ein Glied, um seine Bemerkung zu illustrieren.
Dann schiebt er mit einem listigen Lachen den verdatterten Schüler zur Seite und wendet sich wieder der Arbeit zu. Wenn man ihn in seinem Haus oder seinem Trainingsraum besucht oder an den Frühstücksbesprechungen teilnimmt, die er in einem Straßencafé nach dem morgendlichen Training abhält, hat man eher das Gefühl, in einem Hörsaal zu sitzen als unter kämpfenden Männern.
Alle seine Schüler – manche noch Kinder, andere bereits über sechzig – scheinen ganz im Unterricht aufzugehen und sind stets auf der Suche nach den höheren und tieferen Wahrheiten, die in den inneren Künsten verborgen liegen."
Die beiden Videosequenzen sind wertvolle historische Dokumente. Sie stammen aus einer Zeit, in der eine kleine Gruppe westlicher Pioniere – darunter Marcus Brinkman, Dietmar Stubenbaum, Hermann Bohn, Bill (Arvo) Tucker, Bradford Tyrey, Tim Cartmell und Michael DeMarco [1] – in den 1970er, 80er und 90er Jahren nach Taiwan ging, um dort über Jahre hinweg die inneren Kampfkünste in ihrer ursprünglichen Form zu studieren. Bereits zuvor hatten Männer wie Robert Smith oder Ken Fish den Weg bereitet.
Jene Generation hatte Zugang zu Meistern, die einen einzigartigen historischen Hintergrund teilten: Viele waren 1949 mit Chiang Kai-shek (Jiang Jieshi) nach Taiwan gelangt, nachdem die Nationalregierung im Bürgerkrieg Mao Zedongs Truppen unterlegen war. Unter ihnen befanden sich Lehrer, die noch im späten 19. oder frühen 20. Jahrhundert geboren wurden – lebendige Träger der alten Kampfkultur, bevor politische Umbrüche und Modernisierung das Gesicht des Wushu grundlegend veränderten. Erwähnt seien stellvertretend: Du Yuze (1897–1990), Gong Baozai (1904–2000), Wang Shujin (1904–1981) und Chang Dongsheng (1908–1986).
[1] Die Aufzählung der Pioniere – wie auch die der Meister – ist exemplarisch und keineswegs vollständig. All jene, die hier nicht genannt sind, mögen mir bitte verzeihen.
Der Schüler Hong Yixiangs, Luo Dexiu 羅德修, selbst eine prägende Figur der neueren Kampfkunstgeschichte Taiwans und einer der Lehrer Dietmar Stubenbaums, erinnert sich auf seiner Webseite an seinen Meister:
"Hung Laoshi was a kind-hearted man, but he wasn't much of a speechmaker. He didn't like to talk much, but loved to demonstrate genuine skills and technique to give students the genuine flavor of the art. He was my precious teacher, and forever worthy of my deepest respect."
Quelle: https://www.yizong.org/index.php/en/features/hung-i-hsiang
Weitere biografische Informationen über Hong Yixiang (Hung I-Hsiang) bietet der Wikipedia-Eintrag:
Dort heißt es:
"After he had studied with Chang for several years, Hung often led classes for Chang. Because the internal martial arts were still very new in Taiwan, many curious people would come to test Chang's skill. Hung said that Chang would often send him out to show the visitors what the internal styles were all about. Many martial artists in Taiwan remember Hung as being someone who was involved in many fights, both in and out of the martial arts studio."
"Hung Laoshi was a kind-hearted man, but he wasn't much of a speechmaker. He didn't like to talk much, but loved to demonstrate genuine skills and technique to give students the genuine flavor of the art. He was my precious teacher, and forever worthy of my deepest respect."
Quelle: https://www.yizong.org/index.php/en/features/hung-i-hsiang
Weitere biografische Informationen über Hong Yixiang (Hung I-Hsiang) bietet der Wikipedia-Eintrag:
https://en.wikipedia.org/wiki/Hung_I-Hsiang
Dort heißt es:
"After he had studied with Chang for several years, Hung often led classes for Chang. Because the internal martial arts were still very new in Taiwan, many curious people would come to test Chang's skill. Hung said that Chang would often send him out to show the visitors what the internal styles were all about. Many martial artists in Taiwan remember Hung as being someone who was involved in many fights, both in and out of the martial arts studio."
[1] Die Aufzählung der Pioniere – wie auch die der Meister – ist exemplarisch und keineswegs vollständig. All jene, die hier nicht genannt sind, mögen mir bitte verzeihen.
Video: Marcus Brinkman 2019
The Way of the Warrior
Ein weiterer, aufschlussreicher Einblick in das familiäre Umfeld Hong Yixiangs findet sich in Der Weg des Kriegers. Dort schildert sein Sohn Tse Han die Wurzeln der Familie:
"Mein Großvater war Kerzenmacher. In jener Zeit, als es auf Taiwan noch keinen Strom gab, waren Kerzen ein unverzichtbarer Haushaltsgegenstand. Dadurch wurde unsere Familie wohlhabend, hatte jedoch auch viel Arbeit. Um seinen Söhnen Bildung zu vermitteln und sie in der Selbstverteidigung auszubilden, ließ mein Großvater mehrere renommierte Kung-Fu-Meister in unser Haus kommen.
Anfangs waren es Lehrer der Shaolin-Schule, doch sie gehörten nicht zu den Besten. Da mein Großvater es liebte, Menschen mit außergewöhnlichen Kenntnissen einzuladen – viele von ihnen stammten vom Festland –, kam eines Tages auch Chang Chuenfeng, der spätere Lehrer meines Vaters. Mein Vater war der vierte von fünf Söhnen, und mehrere Brüder lernten mit großer Begeisterung unter Meister Chang.
Obwohl jeder in mindestens einer Disziplin hervorragende Fähigkeiten entwickelte, vermochte keiner den Meister jemals zu übertreffen. So entschied mein Großvater, Chang zum Hauslehrer zu machen. Er war spezialisiert auf Xingyi und Bagua.
Ein weiterer Gastlehrer war Chen Han-Ming, ein Ingenieur, der auf dem Festland für das Yellow River Engineering Bureau gearbeitet hatte. Er war Meister des Shaolin-Boxens, Xingyi und Taiji. Als er bemerkte, dass seine Schüler im Taijiquan Defizite hatten, bat er meinen Großvater höflich darum, einen der Söhne – meinen Vater – als persönlichen Schüler übernehmen zu dürfen."
Diese Schilderung zeigt, wie selbstverständlich es in jener Zeit war, herausragende Lehrer von verschiedenen Stilrichtungen einzuladen und in den eigenen Haushalt zu integrieren. Die Kampfkunst war Bestandteil der häuslichen Kultur – ein Erbe, das Hong Yixiangs Entwicklung nachhaltig prägte.
cultura martialis
Eine ähnliche Situation findet sich im Haus des berühmten Xingyiquan- und Taijiquan-Meisters Du Yuze (1897–1990). Auch hier spielte die Initiative des Vaters eine entscheidende Rolle. Wie in cultura martialis dargestellt wird, holte Du Youmei, der Vater Du Yuzes, keinen Geringeren als Chen Yanxi 陳延熙 – den Vater des legendären Chen Fake und Vertreter der 16. Generation der Chen-Familie – als Hauslehrer nach Jinhuazhen 清化鎮, unweit des Chen-Dorfes:
"Als Meister Du 18 Jahre alt war, hatte sein Vater den sehr berühmten Chen-Stil-Lehrer Chen Yanxi, einen legitimen Sohn aus der Linie Chen Zhangxing, in sein Haus eingeladen, damit dieser seine Söhne im Chen-Stil-Taijiquan unterweise."
Du Youmei stand zudem in enger Verbindung zu Chen Xin, dem Autor des grundlegenden Werkes Chen Shi Taijiquan Tushuo. Er unterstützte ihn nicht nur bei der Veröffentlichung, sondern verfasste auch ein Vorwort – ein Hinweis darauf, wie stark diese Familien in die intellektuelle und technische Traditionspflege des Chen-Stils eingebunden waren.
